Atomausstieg - ein Jahr danach
Atomausstieg – ein Jahr danach: Bilanz und Ausblick
Am 15. April 2023 war es soweit: Deutschland schaltete nach über 40 Jahren den letzten Atommeiler ab. Ein historischer Moment, der mit Spannung und Sorge, aber auch mit Hoffnung und Erleichterung erwartet wurde.
Ein Jahr danach ist es Zeit für eine erste Bilanz: Wie hat sich der Atomausstieg auf die Energielandschaft Deutschlands ausgewirkt? Wurden die gesetzten Ziele erreicht? Und wie geht es weiter mit der Energiewende?
Was ist dran an den Schreckensszenarien?
Ein Jahr ist es her, dass die letzten noch im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke in Neckarwestheim, in Markt Essenbach im Landkreis Landshut (Isar) und Lingen (Emsland) stillgelegt wurden. Haben wir mit einem Blackout zu rechnen oder ist/war das nur Populismus? Erzeugen wir mehr Strom aus Kohle, weil wir auf die “umweltfreundliche” Kernkraft verzichten oder ist auch diese Behauptung nur Populismus?
Im Folgenden versuchen wir mit einem Faktencheck zu erläutern, was seitdem geschehen ist und wie es um die Stromversorgung in Deutschland steht. Dabei beziehen wir uns in erster Line auf eine Studie des Fraunhofer Instituts.
Das erste Jahr ohne Atomstrom
Beginnen wir mit ein paar Zahlen und Fakten. Die lassen sich leider nicht vermeiden. Schließlich wollen wir ja eine belastbare Analyse erstellen.
- Im letzten Betriebsjahr der Atomkraftwerke (16.04.2022 bis zum 15.04.2023 der Zeitpunkt der Abschaltung) wurden 29,5 TWh Strom durch Kernenergie erzeugt. Das waren ziemlich genau 6,3% der gesamten Nettostromerzeugung
- Im ersten Betriebsjahr ohne Atomkraft (16.04.2023 bis 15.04.2024) wurden 270 TWh Strom durch erneuerbare Energien erzeugt. Das waren 33 TWh mehr als im Vergleichszeitraum (16.04.2022 bis zum 15.04.2023 der Zeitpunkt der Abschaltung)
- Mittlerweile haben die Erneuerbaren einen Anteil von 58,8 Prozent an der elektrischen Last (Summe aus Stromverbrauch und Leitungsverlusten)
Seit Abschaltung der Atomkraftwerke erzeugten die zugebauten Erneuerbaren also 3,5 TWh mehr Strom als vorher die Kernkraft.
Was ist dran an der Behauptung, dass wir mehr fossile Energie produzieren?
Nun wieder ein paar Zahlen.
Im ersten Jahr ohne Atomstrom wurden 154,4 TWh Strom aus Kohle, Erdgas, Öl und Müll erzeugt. Was 26% weniger als im Vorjahreszeitraum (16.04.2022 bis zum 15.04.2023) entspricht.
Die Gründe für diesen Rückgang sind die hohen Kosten für die Brennstoffe Kohle und Gas sowie die gestiegenen Co2-Zertifikatskosten. Gleichzeitig ging die Stromlast (also der Stromverbrauch) um 2,1% zurück. Hauptgründe für diesen Verbrauchsrückgang sind im Besonderen Energieeinsparungen, Produktionsrückgang in der Industrie und die ständig größere werdende Anzahl von genutzten Photovoltaik-Anlagen in Eigennutzung.
Importstrom - Was ist dran an Atomstrom aus Frankreich?
Es ist richtig, dass Deutschland im ersten Atomenergie-freien Jahr mehr Strom importiert hat (21,3 TWh auf 23 TWh). Es stimmt aber auch, dass wir Erzeuger-Überkapazitäten haben. Einer Stromlast von 95 GW stehen Kapazitäten in Höhe von
- 154,4 GW aus Kohle, Erdgas, Öl und Müll
- 85 GW Solar
- 70 GW Wind
- 9 GW Pumpspeicherkraftwerke
Die Rechnung sieht als wie folgt aus: Wir brauchen 95 GW Strom – erzeugen könnten wir 318 GW Strom. Stromimporte brauchen wir aus Gründen der Energieversorgungssicherheit nicht.
Warum importieren wir Strom?
Der Grund ist simpel und schnell erklärt: Der Börsenstrompreis. Bei niedrigen Preisen, die sich insbesondere im Sommer entwickeln, ist es günstiger, billigen erneuerbaren Strom aus dem Alpenraum und Skandinavien einzukaufen, als diesen aus den relativ teuren Kohlekraftwerken zu beziehen. Das führt zudem noch dazu, dass wir mehr sauberen Strom importieren und die Produktion in den schmutzigen Kraftwerke reduzieren. Gleichzeitig waren die französischen Atomkraftwerke 2023 wieder am Netz. Diese produzierten einfach zu viel Strom, was den Preis senkte. Angebot und Nachfrage nennt man das, Herr Spahn.
Die Entwicklung des Strompreises
Derzeit liegt der Preis an der europäischen Strombörse auf dem Niveau von 2021. Also wie vor der Energiekrise, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Mit dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien wird der Strompreis auch für den privaten Endverbraucher weiter sinken.
Deutschland hat kein Erzeugungsproblem,
sondern den Vorteil, dass es im uns umgebenden Ausland sehr viel billigen und überschüssigen Strom aus erneuerbaren Quellen gibt. Forderungen nach neuen Kernkraftwerken oder die Wiederaufnahme des Betriebs alter sind einfach nur bloßer Populismus oder Unwissenheit. Ganz davon abgesehen, dass wir immer noch kein Endlager gefunden haben und Atomstrom der teuerste Strom überhaupt ist. Zumindest wenn man alle Kosten bei dessen Produktion mit einrechnet. Also nicht nur die Betriebskosten, sondern auch die Kosten für Bau, Rückbau und Entsorgung sowie Endlagerung der Brennelemente einrechnet. Alle Hinweise aus der Politik auf neue Atomkraftwerks-Formen sind nach aktuellem Stand der Forschung einfach unredlich. Keine der “Innovationen” sind heute oder in den nächsten Jahren marktreif. Für uns sieht das in etwa so aus: “Wir haben die Energiewende in den letzten Jahrzehnten ordentlich verpennt. Jetzt geben wir der derzeitigen Regierung erst einmal die Schuld und zaubern dann Mini-AKW und Leichtwasser-Reaktoren aus dem Hut” – Leider sind das Techniken, die aktuell NICHT verfügbar sind. Also ist auch diese Argumentation unredlich!
Wir fassen zusammen
Der Atomausstieg ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigen Energiezukunft. Es ist ein Prozess, der mit Veränderungen und Herausforderungen verbunden ist, aber auch mit der Chance, neue Technologien zu entwickeln und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern.
Die nächsten Jahre werden zeigen, ob Deutschland den Weg der Energiewende erfolgreich weitergehen kann.